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Lem, Stanisław

(1921–     )

»Der dialektische Weise aus Kraków«, wie ihn sein Bewunderer Franz Rottensteiner (der ihn auch als Agent im westlichen Ausland vertritt) nennt, ist ein polnischer Autor und gilt mittlerweile weltweit als Ausnameerscheinung in der Scirnce Fiction. Er vereint ein erstaunliches interdisziplinäres Wissen, philosophischen Tiefsinn und literarischen Geschick mit intelligenten SF-Themen, wobei das Ergebnis in der Regel durchaus keine abgehobene Literatur mit SF-Elementen, sondern literarische Science Fiction mit Unterhaltungswert ist. Lem begann im Alter von sechzehn Jahren mit dem Schreiben und studierte – als Sohn eines Arztes – Medizin, bevor der Einmarsch der deutschen Truppen ihn zum Abbruch des Studiums zwang. Während der Besatzungszeit arbeitete er als Automechaniker und lernte dabei, »deutsche Kraftwagen so zu beschädigen, daß es nicht sofort entdeckt werden konnte«. Nach dem Kriege studierte er weiter: Medizin, Philosophie, nebenher auch Physik und Biologie. Er war kurze Zeit als Arzt tätig, begann dann jedoch hauptberuflich zu schreiben. Sein erster Roman, Die Irrungen des Stefan T entstand 1948, wurde aber erst 1955 in Buchform veröffentlicht. Er schildert das Schicksal eines bürgerlichen Untellektuellen im besetzten Polen.

Stanisław Lem hatte schon in seiner Jugend begeistert utopische und phantastische Erzählungen verschlungen und auch bereits während der deutschen Besetzung eine Novelle »Der Marsmensch« verfaßt, die im Familienkreis gelesen wurde. Die Möglichkeit, einen ersten SF-Roman zu veröffentlichen, ergab sich jedoch 1950 nach einem Gespräch mit einem Verlag. Er erhielt eine Zusage, und das Ergebnis war ASTRONAUCI (Die Astronauten bzw. Der Planet des Todes), der Roman einer Venusexpedition, der 1951 veröffentlich wurde. Dieser Roman, der in der Bundesrepublik erstmals als Heftausgabe (Vorstoß zum Abendstern veröffentlich wurde, erlebte später in der DDR eine Verfilmung. Es folgte SEZAM I INNE OPOWIADANIA (1954), ein Band mit Erzählungen, der bereits erste Abenteuer des Ijon Tichy enthielt, die später um weitere Episoden ergänzt wurden (DZIENNIKI GWIAZDOWE, 1957 Sterntagebüchern). 1955 schloß sich OBŁOK MAGELLANA (Gast im Weltraum) an, ein Roman, der den Flug eines mit mehr als 200 Menschen besetzten Raumschiffes zu den Sternen schildert – ungewöhnlich für Lem, steht hier die Handlung eindeutig im Dienste der Übermittlung sozialistischer Ideen und Menschenbilder. Nach »kybernetischen Dialogen«, weiteren Erzählungen – darunter die ersten Geschichten um den Weltraumpiloten Pirx – und einem Kriminalroman erschien 1959 EDEN (Eden), ein SF-Roman über die Landung eines Raumschiffes auf einem bizarren Planeten, wo es u.a. lebendige Fabriken sowie Pläne der Bewohner gibt, sich selbst durch eine Rasse von Mutanten zu ersetzen. 1961 kamen POWRÓT Z GWIAD (Transfer) und SOLARIS (Solaris) heraus. Solaris dürfte Lems populärster Roman sein – er wurde in 20 Sprachen übersetzt und erlebte eine bemerkenswerte Verfilmung in der Sowjetunion. Es geht darin um eine Lebensform, die sich als gallertartiger Ozean präsentiert und mit der trotz aller Versuche keine Kommunikation gelingt, weil die Menschen sich als unfähig erweisen, dieses fremde Leben voll zu erfassen. Auf eine andere seltsame Lebensform stoßen Weltraumfahrer von der Erde in dem Roman NIEZWYCIEZONY I INNE OPOWIADANIA (1964 – Der Unbesiegbare), in dem sich winzige kybernetische Organismen zu einem metallischen Schwarm organisieren, der die vermeintlichen Eindringlinge abwehrt. Lem schrieb auch Romane außerhalb der SF, wie PAMIETNIK ZNALEZIONY W WANNIE (1961, Memoiren, gefunden in der Badewanne) und GLOS PANA (1968, Die Stimme des Herrn), einen autobiografischen Roman, einen Band mit »Einleitungen zu nichtexistierenden Büchern«, eine empirische Theorie der Literatur sowie FANTASTIKA I FUTUROLOGIA (1970, Phantastik und Futurologie), ein Werk über Science Fiction. Hinzu kommen zahlreiche SF-Fernsehspiele – die zum Teil auch in deutschen Fernsehprogrammen gezeigt wurden – und Erzählungen, darunter die schon erwähnten um Ijon Tichy und Pirx, dazu märchenhafte Humoresken und Satiren, die in den Bänden BAJKI ROBOTÓw (1964, Robotermätchen) und CYBERIADA (1965) veröffentlich wurden. Wie es heißt, entstanden die meisten Werke in Zakopane, wohin sich der Autor zum Arbeiten zurückzieht und dann meistens in einen regelrechten Arbeitsrausch verfällt. Lem ist sehr selbstkritisch, und einige Texte wurden bis zu einem Dutzendmal neu geschrieben. Er selbst hat einmal erklärt, daß er zwar rund dreißig Bücher veröffentlich, aber rund zehnmal soviel geschrieben hat. Für Die Irrungen des Stefan T erhielt er den Literaturpreis der Stadt Kraków, und seine Bücher sind vor allem in der Sowjetunion und in der DDR so populär, daß dort mit wenigen Titeln in kürzester Zeit Millionen-auflagen erreicht wurden. Es ist der meistübersetzte Autor der polnischen Gegenwartsliteratur.

Bibliographie

Gast im Weltraum (OBŁOK MAGELLANA), Berlin 1956, Vlg. Volk und Welt.

Eden (EDEN), Balve i. Westf. 1960, Gebr. Zimmermann Vlg.

Der Unbesiegbare (NIEZWYCIEZONY), Berlin 1969, Universitas Vlg.

Test. Phantastische Erzählungen, (C/OA) Frankfurt 1971, Fischer-Bücherei 1156.

Solaris (SOLARIS), Hamburg–Düsseldorf 1972, MvS.

Nacht und Schimmel (C) (OPOWIADANIA), Frankfurt 1972, SFdW.

Die Jagd. Neue Geschichten des Piloten Pirx (C) (OPOWIEŚCI O PILOCIE PIRXIE), Frankfurt 1973, SFdW.

Robotermärchen (Auswahl aus BAIKI ROBOTÓW und CYBERIADA) (C/OA), Frankfurt 1973, Bibliothek Suhrkamp 366.

Sterntagebücher (C) (DZIENNIKI GWIAZDOWE), Frankfurt 1973, Insel Vlg.

Die vollkommene Leere (C) (DOSKONALA PRÓZNIA), Frankfurt 1973, Insel Vlg.

Transfer (POWRÓT Z GWIAZD), Düsseldorf 1974, MvS.

Memoiren, gefunden in der Badewanne (PAMIETNIK ZNALEZIONY W WANNIE), Frankfurt 1974, Insel Vlg.

Die Astronauten (ASTRONAUCI), Frankfurt 1974, SFdW. (auch als Der Planet des Toten, u.a. Einsiedeln 1965, Benziger Vlg., Comet).

Der futurologische Kongreß (C) (KONGRES FUTUROLOGICZBY), Frankfurt 1974, SFdW.

Der getreue Roboter (C) (NOC KSIEZYCOWA), Fernsehspiele, Berlin 1975, Volk und Welt.

Mondnacht. Hör- und Fernsehspiele (C/OA), Frankfurt 1976, Insel TB.

Imaginäre Größe (WIELKOŚĆ UROJONA), Frankfurt 1976, Insel Vlg.

Summa technologiae (SUMMA TECHNOLOGIAE) (philosophisch-erkenntnistheoretisches Werk), Frankfurt 1976, Insel Vlg.

Phantastik und Futurologie, Band I (FANTASTYKA I FUTUROLOGIA) (philosophisch-literaturwissenschaftliches Werk), Frankfurt 1977, Insel Vlg.

// Hans-Joachim Alpers, Werner Fuchs, Ronald M. Hahn, Wolfgang Jeschke. Lexicon der Science Fiction Literatur: Originalausgabe. Band 1. – München: Wilhelm Heyne Verlag, 1980. – S. 428-431.

 


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© 1980 Hans-Joachim Alpers, Werner Fuchs, Ronald M. Hahn, Wolfgang Jeschke, текст